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Sie nannten sie Sekundenkleber-Penny

DIE ZEIT, 2023

Die Geschichte des »Klima-Klebens«, der Protestform der Stunde

Einträge im Online-Kondolenzbuch von Penny Eastwood/Dongria Kondh, 1955-2021:

»Penny, du hast mir alles beigebracht, was ich übers Ankleben weiß. Du bist eine Legende.« - Grainne

»Ich werde losgehen, um Sekundenkleber zu kaufen, und ihn immer mit mir herumtragen, damit er mich an dich erinnert.« - Claire

»Die Königin des Sekundenklebers gegen die dunklen Mächte!« - Jim

Es gibt ein neues Symbol, täglich zu sehen in Nachrichtensendungen und auf Titelseiten: die nackte Hand auf Asphalt, meist glänzt sie vom Speiseöl, das eine Polizistenhand zwischen die Finger gepinselt hat, um sie von der Straße zu lösen.

Gegenüber früheren Protestformen und den Bildern, die sie schufen, fällt vor allem der elegante Minimalismus auf. »Klima-Kleben« kommt ohne das pathetische Gewicht der Ketten aus, an denen sich Anti-AKW-Demonstranten auf die Gleise legten; ohne den Natur-Überbau, unter dem sich Aktivistinnen im »Hambi« in ihren Baumhausburgen verschanzt haben. Die »Letzte Generation« protestiert auch für die Umwelt, nutzt dafür aber das Industrieprodukt Sekundenkleber. Pragmatisch und hochfunktional ist ihr ziviler Ungehorsam des 21. Jahrhunderts. Ein bisschen so wie Eigengewichtstraining im Vergleich zur Fitnessstudio-Drückerei mit schwerem Gerät.

Allein in Berlin klebten sich seit Mitte April fast täglich Mitglieder der »Letzten Generation« an Fahrbahnen, »um eine Störung des Alltags zu erreichen, die nicht mehr ignoriert werden kann«, und um für die Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele zu protestieren. Dank eines durchsichtigen Mittels erhält ihr Protest Sichtbarkeit – im Grunde eine genial simple Technik. Daher die Frage: Wer kam eigentlich auf die Idee?

Stellt man sie der »Letzten Generation«, antwortet einer ihrer Sprecher: Lars Werner, Psychologe aus Göttingen, sein WhatsApp-Bild zeigt ihn im Anzug, er trägt Vollbart und Dutt. Werner erzählt am Telefon, dass die »Letzte Generation« das Kleben von der britischen Umweltbewegung Extinction Rebellion übernommen habe. Deren Mitglieder haben sich seit Gründung der Gruppe 2018 an der Börse in London und im Parlament festgeklebt, in Museen und Ministerien, an Zügen und natürlich auf Straßen in ganz Großbritannien. Dort nahm Werner an einem »Lock-on und Glue-on Training« teil und lernte unterschiedliche Blockadetechniken kennen. »Sekundenkleber hat sich als viel einfacher erwiesen als zum Beispiel eine Kette. Eine Kette muss man ja immer irgendwo herumketten.« Und um eine Straße geht das nun mal nicht so gut.

In Großbritannien, das ergibt ein Blick ins Archiv, hat das Ankleben eine längere Tradition.

2013 umfassten in West Sussex zwei Demonstranten das Tor eines Energieunternehmens, das nach Fracking-Öl bohren wollte. An den Händen hatten sie sich mit Sekundenkleber zusammengeklebt.

2008, bei einer Ehrung für zivilgesellschaftliches Engagement in der Downing Street 10, gelang es dem hier geehrten Fluggegner Dan Glass, beim Händeschütteln mit dem damaligen Premier Gordon Brown seine mit Sekundenkleber eingeschmierte Hand an dessen Anzugärmel zu befestigen. Der Premier musste sich anhören, was Glass vom Ausbau des Flughafens Heathrow hielt (nichts), bevor Brown entfloh, indem er aus seiner Anzugjacke schlüpfte.

Ich kontaktiere Dan Glass, er ist heute Autor und Queer-Aktivist, und frage ihn, wie ihm der Einfall für seinen Stunt kam. Glass – jede seiner E-Mails endet mit einem Kuss-Emoji – antwortet, es sei eine dahingesagte Spinnerei einer Freundin gewesen: Kleb dich doch an, wenn er dir die Hand gibt. Aus dem Nichts sei sie aber nicht darauf gekommen, schließlich hätten sich vor ihm schon andere Fluggegner angeklebt. Wenn auch nicht am Premierminister.

Er rät mir, mit Leila Deen zu sprechen, weil die sich 2007 zusammen mit anderen am Eingang des britischen Verkehrsministeriums festgeklebt habe, ebenfalls, um gegen den Bau einer dritten Landebahn in Heathrow zu demonstrieren. Heute arbeitet Deen in den USA; ich erreiche sie in einem New Yorker Café, im Hintergrund wird Coffee to go bestellt. Oh ja, sagt Deen, sie glaube zu wissen, wer mit dem Kleben angefangen habe: eine ältere Dame aus dem Norden Englands namens Penny.

Ein paar Tage bevor Deen sich 2007 mit den anderen anklebte, habe sie Penny das erste und einzige Mal gesehen. Mitte August kampierten Hunderte Demonstranten in Heathrow; bewacht wurde das Protestcamp von doppelt so vielen Polizisten in einem eigenen Lager. Über Tage nahm die Spannung zu, erzählt Deen, bis sich eines Nachmittags unter den Demonstrierenden das Gerücht verbreitete, die Polizei wolle das Camp stürmen.

»Hochgerüstete Polizisten sind wie eine Phalanx römischer Legionäre durch unser Lagertor eingedrungen«, erzählt mir der Aktivist Keith Wilson, der damals auch dabei war. Eine Menschenkette habe sich dem Keil aus Helmen und Schutzpanzern in den Weg gestellt und ihn aus dem Camp gedrängt.

Doch im Polizeilager seien immer weitere Mannschaftswagen angekommen, es habe gewirkt, als bereite man sich auf einen entschlosseneren Räumungsversuch vor. In dem Moment sei eine schmale Frau Anfang 50 aus dem Tor des Protestcamps gelaufen. Bevor jemand sie aufhalten konnte, habe sie aus ihrer Tasche Sekundenkleber genommen, ihn in ihre Hand gedrückt und das Zufahrtstor der Polizei umgriffen. Einen Augenblick lang sei nichts geschehen, sagt Wilson, aber vielleicht sagt er das nur, weil in Filmen in solchen Szenen immer nichts passiert und dann alles auf einmal.

Der Fahrer des nächsten Mannschaftswagens erkannte den Aktivisten zufolge, dass er an der Frau nicht vorbeikam. Man habe sie aufgefordert, wegzugehen. Sie habe gesagt, sie könne nicht weggehen. Sie klebe fest.

In den nächsten Stunden: ratloses Rumstehen der Polizei, wenn man den beiden Aktivisten glaubt. »Am Anfang kannte ja niemand diese Art des Protests«, sagt Deen. Wer war dafür zuständig, die Frau zu entfernen – Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst? Womit? Hatte sich die Frau überhaupt angeklebt, oder behauptete sie es nur? Ein Polizist habe vorgeschlagen, man solle es ausprobieren, erinnert sich Deen, aber niemand habe sich getraut, aus Sorge, die Frau zu verletzen.

Letztlich sei ihre Hand von einem Sanitäter abgelöst worden, mit heißem Wasser und Seife. Die Frau kam in Gewahrsam, doch geräumt wurde das Camp nicht, weder an dem Abend noch danach.

»Wir haben Penny nachgeahmt«, sagt Leila Deen über ihre Demo am Verkehrsministerium in London wenige Tage später. »Unsere einzige Änderung war, dass wir uns am Glas der Eingangstür festgeklebt haben, damit man drinnen sieht, dass wir Kleber an den Händen haben, und niemand versucht, sie wegzureißen. Es war einfach. Sekundenkleber ist das D-Schloss der Frau von heute«, sagt Deen in Anspielung auf die D-förmigen Rahmenschlösser, mit denen sich frühere Protestgenerationen anketteten. »Penny ist die Erfinderin.«

»Super Glue Penny, wie sie oft genannt wurde, war in Großbritannien die Erste, die Sekundenkleber zum Protest eingesetzt hat«, bestätigt der Extinction-Rebellion-Gründer Simon Bramwell. »Wir stehen auf ihren Schultern.«

Bramwell war selbst 2007 im Heathrow-Camp, es sei auch für ihn sein erster Kontakt mit Sekundenkleber als Protestmittel gewesen, schreibt er per Mail. »Es ist günstig, effektiv und hat aus meiner Sicht etwas Ironisches, dass wir versuchen, den Riss in unserer bröckelnden Gesellschaft mit Kleber zu reparieren.«

Wer aber hatte »Sekundenkleber-Penny« auf die Idee gebracht?

Online lässt sich herausfinden, dass die Frau Penny Eastwood hieß und 1955 geboren wurde. Sie wuchs im Süden Englands in einer Adoptivfamilie auf, ihr Adoptivvater war Atomwissenschaftler. Schon mit 17 Jahren begann Penny Eastwood zu studieren, sie heiratete einen Kommilitonen, die beiden bekamen Kinder und zogen Ende der Achtziger nach Hebden Bridge, in ein Städtchen eine Stunde nördlich von Manchester, wo Penny 35 Jahre lang lebte.

Lebte, weil Eastwood, die mittlerweile Dongria Kondh hieß, 2021 an Krebs starb.

Ein Nachruf erwähnt ihren zweiten Ehemann. Nagakusala Dharmacharin leitet ein buddhistisches Zentrum in Leeds, nicht weit von Hebden Bridge. Auf meine Bitte, mir die Geschichte seiner Frau bei einem Besuch zu erzählen, antwortet er: »Sure.«

Natürlich kann man zum Witwer einer Aktivistin, die gegen klimaschädliche Flüge demonstrierte, nicht einfach hinfliegen und womöglich an dem Ort landen, wo sie sich einst angeklebt hatte. Mit dem Zug geht es durch den Eurotunnel, und dann wartet einige Stunden später in der Bahnhofshalle in Leeds ein etwas zotteliger Mann. Er trägt ein orangefarbenes Fußballtrikot von Leeds United, Wanderschuhe, unter der Hutkrempe schaut eine Udo-Lindenberg-Matte heraus – bisschen alternder Rockstar, bisschen Schäfer.

»Fist bump, Handschlag oder Umarmung?«, fragt er zur Begrüßung und macht dann alles drei.

Für die Fahrt nach Hebden Bridge hat er einen Transporter gemietet; nach dem Tod von DK sei er lange nicht mehr dort gewesen, er könne bei der Gelegenheit ihr Büro ausräumen. Er sagt DK für Dongria Kondh, als rede er nicht nur über seine Frau, sondern auch über ein Staatsoberhaupt. Aus Solidarität mit einer gleichnamigen Volksgruppe in Indien, auf deren Gebiet ein britisches Unternehmen eine Mine eröffnen wollte, benannte sich Eastwood 2010 um – und klebte sich auch gleich noch am Büro der Royal Bank of Scotland an, die den Bau der Mine finanzieren sollte. Sie schwor, so lange Dongria Kondh zu heißen, bis dies abgewendet sei. Das gelang, doch da kannte man sie schon unter ihrem neuen Namen.

»DK hat viel besser zu ihr gepasst als Penny«, sagt Dharmacharin. Ihre Gleichgesinnten um sie herum seien wie ein Stamm für sie gewesen. Und DK war ihr Oberhaupt.

Dharmacharin bekam seinen Namen, als er vor ein paar Jahren der buddhistischen Gemeinde beitrat. Nagakusala bedeute: »Jemand mit den Fähigkeiten eines Unterwelt-Drachens«, sagt er irgendwie, ohne zu lachen. »Der Name passt auch.« Nagas sind im Buddhismus Schatzhüter, und so was wie DKs Buchhalter sei er wirklich für sie gewesen, die immer behauptete, keinerlei praktische Fähigkeiten zu haben, bloß Ideen. Zum Zeitpunkt ihres Auftritts in Heathrow saß er am anderen Ende des Zeltlagers in einem Van und zählte als Camp-Schatzmeister die Spendengelder. Und Unterwelt oder Untergrund, das sei ja auch nicht ganz falsch. Immerhin hielt ihn der Staat mal für einen so anarchischen Aktivisten, dass ein V-Mann seine Rockband infiltrierte, wie man in alten Zeitungsartikeln nachlesen kann.

Auf der Fahrt aus Leeds heraus zeigt sich, dass auch ein täglich meditierender Buddhist nicht zwingend zu absoluter Gelassenheit gefunden haben muss. Mit ungeduldigen Überholmanövern bollern wir über die Autobahn und bald, kaum langsamer, durch die Kurven des Calder Valley, das auch Location-Scouts für Rosamunde-Pilcher-Filme gefallen dürfte. Auf den Talhängen weiden Schafe, steinerne Mäuerchen durchziehen die Felder um die Anwesen aus hellerem Sandstein, Landrover parken in den Auffahrten.

Im Zentrum von Hebden Bridge kommen wir an einer Filiale der Drogeriekette Boots vorbei – auch darin habe sich DK mal an einem Regal angeklebt, weil der Konzern seine Steueradresse ins Ausland verlagern wollte. Einige makellos durchgentrifizierte Straßen weiter halten wir in der Broughton Street vor einem Reihenhaus, das in dieser Umgebung wie eine Bruchbude wirkt. Der Sticker einer Friedensdemo 2016 klebt auf der absplitternden roten Farbe der Tür, hinter der Dongria Kondh und Nagakusala Dharmacharin zehn Jahre lang gewohnt haben.

1992 hatten die beiden einander kennengelernt, während eines »Walk for the Earth« von Manchester nach London, den Penny Eastwood, wie sie damals noch hieß, organisiert hatte, um auf die Umweltzerstörung aufmerksam zu machen. Sie war eine geschiedene Mittdreißigerin, die über Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen promoviert hatte und zwei Kinder großzog; er ein zehn Jahre jüngerer Psychiatrie-Krankenpfleger, der gerade den Job gekündigt, sein Auto verkauft und mit der bürgerlichen Existenz gebrochen hatte.

»Mich reizte am Umweltprotest die Gemeinschaft, die Festivalstimmung in den Camps. DK wurde von höheren Idealen angetrieben und hatte einen Ernst, der mich angezogen hat«, sagt ihr Mann. »Sie spürte die Tragödie des Verlusts körperlich. Seit der Geburt ihrer Kinder hatte sie das drängende Bedürfnis, ihnen eine Welt zu bewahren.«

»Den Klimawandel an der Uni zu studieren hat mich erst in Verzweiflung gestürzt, aber dann mein Leben verändert«, schrieb Dongria Kondh in einem Grußwort, als die Universität von Leeds 2021 ein Stipendium nach ihr benannte.

Nach dem Protestmarsch zog Dharmacharin bei ihr in der Broughton Street ein, sie wurden ein Vollzeitaktivisten-Paar. Im Büro dort liegen: Dossiers über den CO2-Ausstoß der Luftfahrtindustrie, Pamphlete gegen den CO2-Ausstoß der Luftfahrtindustrie – Dharmacharin stopft das Altpapier, das von Jahren des Aktivismus geblieben ist, in Plastiksäcke. Kondhs Kinder haben das Haus geerbt und ihn gebeten, zu schauen, was er behalten möchte. Das Wenige kommt in einen Handkoffer, DKs Visitenkarten zum Beispiel: »Hustler for commonwealth« steht darauf, »Vorkämpferin fürs Gemeinwohl«.

Später taucht aus einem Karton noch ein Dokument auf, die Kopie eines Verhörprotokolls. Es datiert vom 8. Juni 2007, zwei Monate vor Kondhs Anklebe-Aktion in Heathrow. Verhört wurde sie, weil sie sich am selben Morgen in London an einer Drehtür der Zentrale des Urlaubsportals lastminute.com festgeklebt hatte.

Polizeibeamtin Maxine Leach: Sie haben sich also lastminute.com als Ziel ausgesucht wegen Ihrer Meinung zum Fliegen?

Penny: Ja, zur Flugindustrie als Ganzes und zu lastminute.com als typischem Beispiel.

Polizistin: Sie haben Ihre Beweggründe mit Ihrem starken Mitgefühl für die Umwelt erklärt und mit all dem, was momentan passiert. Können Sie mir sagen, warum genau diese Aktion?

Penny: Ja, sehr gern. Was ich hauptsächlich bezwecken wollte, war, nicht zu viel Schaden anzurichten, und ich wusste, dass sich die Kleberückstände abwaschen lassen (...). Sie selbst waren ja auch da und haben mitgekriegt, wie ich sagte, dass ich sie gern eigenhändig abwasche, sobald ich entfernt würde, damit es keine Reinigungskraft tun muss.

Polizistin: Stimmt.

(...)

Polizistin: Wie haben Sie Ihre Hände eigentlich angeklebt?

Penny: Na ja, ich habe den Sekundenkleber geöffnet, ihn mir auf die Hände geschmiert und sie gegen das Glas geklatscht.

(...)

Polizistin: Hat irgendjemand Sie dazu angestiftet? Ich weiß, die Frage klingt dämlich.

Penny: Ich denke, sie ist wirklich ein bisschen dämlich.

»Das ist so Penny«, sagt ihr Mann. »Sogar Richter hatten Respekt vor ihr, weil sie diese Lady vom Land war, die sich dank ihrer Upperclass-Bildung gewählter ausdrücken konnte als sie.« Die Familie Eastwood habe in einem Haus mit Pool gelebt, Penny habe Privatschulen besucht und eine Klasse übersprungen. Ihr Erbe hat ihren Aktivismus subventioniert, manchmal nahm sie Gelegenheitsjobs an. Am liebsten als Aktenvernichterin, dabei habe sie in Ruhe nachdenken können.

Ob sie sich vor dem lastminute.com-Protest schon mal festgeklebt hatte, daran erinnert sich Dharmacharin nicht. »Ich weiß nicht mehr, wann das allererste Mal war. Ständig hat sie sich angeklebt, sie hatte immer Sekundenkleber dabei.«

Wahrscheinlich sei sie Anfang der 2000er-Jahre auf die Idee gekommen. Er glaubt sich zu entsinnen, dass sie auf einem Workshop der radikalen Umweltgruppe Earth First! von Sekundenkleber als Protestmittel hörte; allerdings klebten sich die Demonstrierenden damit vermutlich nicht selbst an. 1980 in den USA gegründet, sabotierte Earth First! Waldrodungen und den Straßenbau, unter anderem indem Aktivisten Sekundenkleber in die Zündschlösser von Baggern drückten. Ob irgendwann doch ein Earth-First!-Mitglied auf die Idee mit dem Ankleben kam oder erst Kondh? »Es kann gut sein, dass sie nicht die Erste war«, sagt ihr Mann. »Aber auf jeden Fall hat sie ihr eigenes Ding daraus gemacht – und das Kleben bekannt.«

Dann möchte Dharmacharin mir noch das zeigen, was Kondh als ihr eigentliches Vermächtnis angesehen habe. Während wir aus Hebden Bridge herausfahren, deutet er immer wieder auf Reihen vom Wind durchgekämmter Bäume an den Hängen und sagt: »Die haben wir gepflanzt.« Und die. Und die dort.

1998 gründete Kondh die Organisation Treesponsibility, die seither zusammen mit Schulklassen mehr als eine halbe Million Bäume rund um Hebden Bridge gepflanzt hat. Am wichtigsten dabei sei es ihr gewesen, in Schulen über die Klimakatastrophe zu reden.

»Unsentimental« habe sie auf die Krebsdiagnose einige Jahre vor ihrem Tod 2021 reagiert, sagt ihr Mann: Sie habe einfach weitergemacht.

Noch Anfang 2020 protestierte sie vor der Naturschutzbehörde in Leeds gegen die klimaschädliche Verbrennung von Torfmoor. Angeklebt habe sie sich in den letzten Jahren nicht mehr; vielleicht, weil die Polizei bessere Lösungsmittel gefunden habe. Sie habe aber vom Sekundenkleber-Revival durch Extinction Rebellion gewusst und den Protest der Jüngeren begrüßt, auch wenn die ihr gelegentlich, verglichen mit ihrer Generation, ein kleines bisschen interessierter an sich selbst als an der Sache erschienen seien.

Sie ging weiter in Pubs und versuchte, den epischen Scrabble-Wettstreit mit einer Rivalin im Ort über Hunderte Partien hinweg zu gewinnen. Mit ihrer Familie fuhr sie noch einmal in den Urlaub, nach Spanien, natürlich mit dem Zug. Dharmacharin und sie wohnten da seit Langem nicht mehr zusammen, weil er Anfang der 2000er-Jahre nach ihrer ersten Trennung ausgezogen war, doch sie sind bis zum Ende verheiratet geblieben. Für die letzten Monate zog er bei Kondhs Tochter ein, um sie gemeinsam zu pflegen.

Glücklich zu sein war nie DKs Ziel im Leben, sagt Dharmacharin. Trotzdem sei ihr letzter verständlicher Satz am Tag vor ihrem Tod am 14. Juni 2021 gewesen: »I am so happy.«